Garen auf dem falschen Stein
Eine Abenteuerbergfahrt an der Alpspitze
Als Fechi vor einigen Wochen fast beiläufig bemerkte, dass man doch mal einen Alpen-Blitz-Trip machen könne, Freitag nach Arbeit hin, in der Nacht zum Montag zurück, hatte ich wohl schneller „Ja“ gesagt, als mein Unterkiefer vor Überraschung nach unten klappen konnte.
Schnell war auch aus der Kiste meiner Tourenpläne ein passender gefunden: der KG-Weg in der Nordwand der Alpspitze; schnell zu erreichen, mit IV+ nur in der Einstiegsseillänge ein machbares Unternehmen und ein herausragendes Ambiente über Garmisch-Partenkirchen.
Ein paar Wochen mussten wir zwar auf das geeignete Wetterfenster warten, doch dann …
„Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, oder!?“, hatte Fechi sinngemäß gesagt, als wir kurz vor 9 Uhr des 30.06.2012 am Einstieg des KG-Weges standen.
Mit der ersten Fahrt der Alpspitzbahn und schlappen 10 min Fußweg waren wir problemlos hierher, an den Tunneleingang des Nordwandsteiges, gelangt. Auch ich hatte einen Kloß im Hals – wenn einen die alpine Erfahrung abhanden gekommen ist, dann ist es etwas mehr als grausig, sich gleich mit dem ersten Zug mal ordentlich über das Tal zu schwingen (siehe Foto vom Einstieg, 2. Bildreihe, Bild 1).
Kein Wunder also, dass wir einer scheinbar erfahrenen Zweierseilschaft den Vortritt gelassen hatten. Das entpuppte sich ganz schnell als Fehler und mit diesem Fehler begann eine völlig andere als die geplante Bergfahrt …
… denn zwar hatten wir nun gesehen, wie der Einstieg gemeistert werden kann, wir konnten aber nicht ahnen, dass sich diese Seilschaft gleich in der ersten Seillänge versteigt und wir blindlings hinterher klettern.
Als ich dann im Nachstieg kurz vor Fechis Standplatz war, gab es zwei Informationen, die in ihrer Gesamtheit meine Herzfrequenz an die Obergrenze trieben! Erst Fechi: „Reg dich bloß nicht auf, wenn du meinen Standplatz siehst!“, ein rostiger geschlagener Haken; dann die Vorsteigerin einer Münchener Dreierseilschaft, die nach mir eingestiegen war, ca. 15 m schräg unter mir: „Seid ihr sicher, dass ihr richtig seid, es geht hier hoch!“
„Also ich steige hier nicht zurück!“, sagte ich zu Fechi, er darauf: „Ich auch nicht!“.
Die geplante Wechselführung war geplatzt, denn angesichts des scheinbaren Überhanges über uns (der sich dann gut als Verschneidung hat klettern lassen) war an meinen Vorstieg nicht zu denken, Fechi ist ohnehin der bessere Kletterer.
Jedenfalls hat er das Problem großartig gelöst. Zwei Seillängen später konnten wir rechts durch die Wand in die ursprüngliche Route zurückqueren. Dort waren inzwischen auch die drei Münchener angekommen. Weiter zu fünft?
„Nehmt doch die Variante BW 3, das sind die violetten Markierungen!“
Aha! Der KG-Weg hatte also Markierungen, nämlich rote! Schön zu wissen, denn mit dem Wissen kann man sich hier nicht versteigen.
Woher die nette Münchnerin allerdings die Gewissheit genommen hatte, dass wir in diese Route passen, bleibt unklar. War es Fechis kühner Quergang über steile Reibungsplatten? Es wird ungewiss bleiben, ebenso, wieso wir ohne Nachfrage sofort in die Variante gestiegen sind.
Denn jetzt wurde es noch abenteuerlicher als zuvor. Das, was wir jetzt stiegen, hatte mit IV nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun.
Immer wieder hatte Fechi sich über grifflose Platten, glatte Verschneidungen und schroffe Wasserrillen hocharbeiten müssen. Hakenabstände von ca. 15 m waren haarsträubend. Anderes Sicherungsmaterial hatten wir nicht bei, im Kletterführer stand ja, dass der Weg durchgebohrt sei und man nur Karabiner brauche – gemeint war der KG-Weg!
Wie auch immer: nach fast sechs Stunden hatten wir den sicheren Stand am Herzl erreicht. Die brütende Hitze des Tages, auch in der Nordflanke hatte die Sonne ununterbrochen auf uns niedergeballert, die Dehydrierung, unsere 5l Flüssigkeit waren längst aufgebraucht, und natürlich das strapazierte Nervenkostüm haben uns hier die einzig richtige Entscheidung treffen lassen: ausqueren auf den Klettersteig und Abstieg.
Das ist keine Schande, der Weg gilt schon bei Erreichen des großen Bandes am Herzl als begangen, denn danach wird es deutlich leichter, der BW3 endet hier.
Als wir ein paar Stunden später auf der Terrasse am Kreuzeckhaus saßen und mit kühlem Bier auf die Wand unsere Erfolges blickten, dorthin, wo wir in einer völlig falschen Route stundenlang gegart worden waren, brachte eine Kombination aus moderner Technik und Google eine überraschende Aufklärung:
„Fechi, die Variante BW3 ist eine V, manchmal sogar als V+ gelistet!“
„Na bloß gut, ich wäre wohl sonst vor Respekt nie wieder in eine alpine IV eingestiegen!“
Danke Fechi, nicht nur für deine Idee der Alpentour, sondern vor allem für einen grandiosen Vorstieg durch meine bisher schwerste alpine Route!
Gern wieder, aus den Fehlern lernen wir ;)
Zur Vorstellung der Route im spezillen Bereich der Webseite: Alpspitze BW 3