Die Hölle danach
Brocken-Challenge 2015
Sachlich gesehen ist die „Brocken-Challenge“ ein (Ultra)Lauf über 80 km mit ca. 1900 hm, Start in Göttingen, Ziel auf dem höchsten Gipfel Norddeutschlands, dem Brocken, im Harz. Sieht man jedoch genauer hin, ist diese Veranstaltung tatsächlich aber nicht etwa Ultramittelklasse, sondern eine echte Herausforderung. Denn sie findet im Februar statt! Das heißt: unter welchen Umständen auch immer, Schnee und Eis sind ein steter Begleiter, Witterungsunbilden sind fast sicher!
Ich war am 14.02. 2015 dabei, der Challenge, die der Ausrichter nur wenige Stunden später als „die traumhafte“ in die Challenge-Geschichte eingehen ließ.
Ja, sie war traumhaft – am Ende für mich aber auch traumatisch!
Zunächst aber der Anfang:
Als ich das erste Mal von der Brocken-Challenge gelesen hatte, bin ich vor Ehrfurcht fast im Boden versunken. Allein die Vorstellung, eventuell bei 100 km/h Wind im Schneesturm auf dem Brocken anzukommen, reicht, um abzuwinken. Und trotzdem keimte, wie so oft, ein Interesse, das schließlich darin mündete, mich um einen der Startplätze 2015 zu bewerben.
Wie beim KoBoLT hatte ich auf Anhieb Glück – seit dem 01.11.2014 wusste ich, wie ich den 14.02.2015 verbringen würde.
Nur haben mich der Erfolg beim KoBoLT und andere persönliche Umstände in eine Trainings-Lethargie verfallen lassen, eine Erkältung in der Woche vor dem Start tat ihr Übriges. Noch bei meiner Anreise nach Göttingen war ich mir nicht sicher, ob ich früh am Start stehen würde – aber ich stand!
Und zwar stand ich im Kreise von ca. 170 Gleichgesinnten, die bereits am Vorabend mit Biokost und originalen Didgeridoo-Klängen auf (jetzt folgen Zitate) den „härtesten Lauf des Nordens“ und „die längste Biomesse der Welt“ eingestimmt worden waren. Die Stimmung im „Alten Tanzsaal“ über Göttingen war bei (oder je nach Standpunkt: trotz) einem reichen Frühstücksbuffet mit Köstlichkeiten wie Hafermilch und veganem Kuchen bestens.
Als sich gegen 6 Uhr die Läuferschar im Schein der Stirnlampen auf den Weg machte, lag ein sonniger milder Wintertag, so wie ihn die Challenge noch nicht erlebt hatte, vor ihr.
Und es war wirklich traumhaft: nach etwa 1 ½ Stunden erlebten wir einen großartigen Sonnenaufgang, erreichten einen vegan-vegetarischen Verpflegungspunkt nach dem anderen und selbst ich, der im Wissen um den miserablen Grundzustand wusste, stand irgendwann in der Mittagstunde etwa 35 km vor dem Ziel, praktisch dort, wo der Schnee begann! Hier befindet man sich am sogenannten „Entsafter“, der in diesem Falle nichts mit Bio oder alternativen Ernährungsformen zu tun hat, sondern bei dem es sich um einen kilometerlangen steten Anstieg handelt. Nach dem ging es dann fast ausschließlich auf geloiptem Gelände weiter (nein, nein, liebe Skiportfreunde, nicht in den Loipen, dazwischen) und nicht nur einmal habe ich überlegt, einen der zahlreichen Hobbyskifahrer, die ich teilweise überholt habe, um die Ski zu bitten.
Je näher ich dem Ziel kam, umso mehr musste ich meinem miserablen Zustand Tribut zollen, umso weiter rutschte ich nach hinten, umso öfters hörte ich die Wörter „Cut off“, das drohende Ende vor dem Ziel!
Gegen 17 Uhr saß ich dann in Oderbrück, km 72,5 (beim Rennsteig wäre ich nun nach 11 Stunden im Ziel gewesen), 7,5 km und 300 hm vor dem Gipfel des Brockens. Unter normalen Umständen wer das in einer Stunde erledigt. Mir war klar, dass ich 2 ½ brauchen werde. Genau so muss ich auch ausgesehen haben. Denn einer der Betreuer des letzten Biostandes, an dem ich dann aus lauter Verzweiflung und Gier nach (echter) Wurst und Schmalzbrot sogar ein Tofuwürstchen gegessen habe (nein, ich habe es nur fast ausgebrochen – es hat geschmeckt, wirklich – aber wenn du WURST erwartest, sollte es auch WURST sein.) fragte, ob ich denn da wirklich noch hochwolle. Na klar, meinte ich, ich bin irgendwann nach 19 Uhr oben, Zielschluss ist 20 Uhr, der Bus fährt erst 23 Uhr – alles machbar.
Also war ich weiter unterwegs. Wie ich später erfahren habe: ich war der letzte Starter, der hier durch kam!
Der Aufstieg im Sonnenuntergang war anstrengend aber es ging. Gemeinsam mit Rene Spintler mit dem ich schon viele Kilometer immer mal wieder zusammen unterwegs war, überquerten wir 19:16 Uhr die Ziellinie auf dem Gipfel.
Auch wenn es schwer war – und ja, es war falsch in diesem Zustand zu starten, mach in nie wieder, versprochen – die Freude war groß!
Für etwa 30 Minuten!
Bergsteigen und Brocken-Challenge haben eine kleine Halbwahrheit gemeinsam: Du hast das Ziel erst erreicht, wenn Du wieder unten bist! Das ist Quatsch – man hat den Gipfel / das Ziel, wenn man da ist – und es stimmt insoweit, dass man vom Berg wieder ins Tal muss – lebend! Bei der Brocken-Challenge auch!
Im Klartext heißt das: nach den 80 km marschiert man ca. 10 km talwärts nach Schierke, von wo aus die Busse nach Göttingen zurück fahren. Das gehört dazu, das weiß man, das macht die Sache noch abenteuerlicher. Ich hatte fest eingeplant, den Bus um 23 Uhr zu nehmen, der letzte zwar, aber so blieb ausreichend Zeit zur Regeneration – essen, trinken, duschen und zum gemütlichen Talmarsch.
Was jetzt kommt, ist wie ein böser Film:
irgendwie kam mir zu Ohren, dass es den 23-Uhr-Bus nicht gäbe. Ich zum Veranstalter – das stimmt, den habe man auf 21:30 Uhr vorverlegt!
Es war kurz vor 20 Uhr!
Raus aus den Laufklamotten, rein in die Wanderkluft, ohne gegessen zu haben, nur ein halbes Hefeweizen, mehr ging in der Kürze nicht – 20:08 begann der Abstieg! Es begann die Hölle.
Es ist der Kopf, der uns in die Lage versetzt, Ultras zu laufen. Und es ist der Kopf, der seine klare Linie behalten muss – die war hier durchbrochen! Hätte ich gewusst, dass ich sofort wieder runter laufen muss, wäre alles klar gewesen – so aber stand ich auf Regenration und war statt dessen voll in der weiteren Belastung.
Ich verzichte auf Einzelheiten, so schlimm jedenfalls war es mir auch bei schwereren Läufen bisher nie ergangen. Den Bus haben wir geschafft, den Lauf habe ich abgehakt! Zwei Stunden Talwanderung haben mir einen wunderschönen Lauftag regelrecht versaut.
Fazit:
Die Brocken-Challenge ist ein sehr gut organisierter (Benefiz-)Lauf durch eine vor allem in der zweiten Hälfte beeindruckend schöne Landschaft mit einem grandiosen Ziel. Aber Vorsicht: nur selten hat man das Wetterglück von 2015. Wer es sich wagt, sollte also wissen, was er tut.
Und er sollte damit leben können, dass die Minderheit der Veganer und Vegetarier hier die Biooberhand bei der Verpflegung hat und der Veranstalter eben unter dem Bemerk, dass man improvisationsbereit sein müsse, gesetzte Dinge einfach mal so abändert. (Aber das soll keine negative Kritik sein - höchstens ein kleiner Wermuthstropfen.)
Wer diese Voraussetzungen mitbringt, findet sich in einem großen läuferischen Fest wieder.
Weitere Fotos und Berichte findet man hier
Meine Strecke, aufgezeichnet mit Runtastic:
Distanz: Kilometer Höhe (min): Meter Höhe (max): Meter