WiBoLT 2017
Ein Start – ein Aus – und ein großes Finale
Es ist bereits die vierte Nacht dieses Rennens. Gemeinsam mit Volker haben wir soeben den letzten VP bei km 295 verlassen, 25 knallharte Kilometer liegen noch vor uns. Verdammt steil geht es aufwärts zum Drachenfels, Volker kann vor Schmerzen in den Füßen kaum noch auftreten. Wie oft waren wir schon so gemeinsam unterwegs – und doch ist es heute anders.
„Na gut, dann sing mir jetzt was vor!“, meint er und ich muss lächeln. Wenn er diesen Humor noch hat, dann ist alles gut!
Mittwoch, 14. Juni 2017, 18 Uhr, Rheinufer am Schloss Biebrich in Wiesbaden. Gemeinsam mit Volker und einigen anderen „Verrückten“ stehen wir am Start eines der längsten Ultraläufe Deutschlands, dem WiBoLT – „Wiesbaden – Bonn – Lauf/Trail“. Uns erwarten 320 km mit ca. 11700 hm auf dem Wanderweg Rheinsteig, Zeitlimit 90 Stunden. Das heißt: Sonntag um 12 Uhr muss das Ziel auf dem Marktplatz in Bonn erreicht sein.
Volker sehe ich beim Start vorerst das letzte Mal, er geht zügiger an, als ich. Mich bremsen der Respekt vor der Strecke, mein Planung des Laufes und die Hitze. Ja, es war verdammt heiß. 28°C am Start, brütende Sonne und eine lauwarme Nacht waren alles andere als angenehm. Ich achte trotzdem nicht auf die ausreichenden Zeichen um mich herum: erfahrene Ultrahasen, wie Heike oder Leopold, Mehrfachfinisher dieses Laufes, die ganz ruhig, wie ein Uhrwerk, die Distanz abspulen. Immer wieder laufe ich auf sie auf, nachdem ich schneller war und mich – jaja, immer das gleiche Lied - in der Dunkelheit verlaufen hatte. Auch auf Manuel, der etwas unkonventionell unterwegs ist – normale Wanderkleidung, normaler Rucksack – stoße ich immer wieder. Ab km 45 aber bin ich allein. Ich musste pausieren, nachdem mir jegliche Nahrung wieder aus dem Gesicht gefallen ist. Verdammt!
Vorsichtig arbeite ich mich zum VP 2 bei km 55 vor, erreiche ihn drei Stunden später, als geplant und mache nun den vielleicht entscheidenden Fehler: anstatt die Kühle des Morgens zu nutzen, lege ich mich nach ca. 60 km hin und schlafe, wie geplant, etwas mehr als zwei Stunden.
Das Ergebnis war verblüffend. Als ich gegen 9 Uhr meinen Lauf fortsetzte, war ich fit. Kein Muskelkater, keine Müdigkeit, großartig! Zwar war ich nun Letzter des Feldes, aber das war egal, die anderen mussten ja auch schlafen!
Planmäßig passierte ich den VP bei km 75, planmäßig würde ich gegen 18 Uhr bei km 107 am VP Loreley sein …
Aber ich hatte meine Rechnung ohne die Hitze des Tages gemacht. 32°C, brütende Sonne und lange schattenlose Passagen in den Weinbergen … nur selten komme ich mit derartiger Hitze zurecht und auch heute war nicht mein Tag.
Ich wurde zunehmend langsamer, konnte einfach nichts machen. Dann ein richtiger Verhauer in Kaub, anstatt oben auf dem Rheinsteig zu bleiben, stand ich plötzlich unten am Rhein. Ich war stehend k.o.!
Es war einmal mehr Almuth, die, mich an anderer Stelle erwartend, nach einem Anruf herbei geeilt, motivierte. Gib nicht auf, meinte sie, nur durch diese Hitze, dann wird es leichter, gleich gibt es Gewitter, ab morgen wird es kühler. Recht hatte sie. Auch die nassen Tücher im Genick, auf den Armen taten ein Übriges ... ja, es musste weitergehen!
Es ging weiter aber immer langsamer! Der ersehnte Regen blieb aus! Irgendwann war ich an der Loreley – und hatte 9 Stunden für 28 km gebraucht. Meine Augen brannten von der Sonne, ich war heiß und rot wie eine Tomate auf dem Grill, essen und trinken gingen nicht mehr, alles fiel postwendend aus dem Gesicht! Ich habe die Stimmen der Geister in meinem Hirn, die mir genüsslich vorsäuselten, dass ich aufhören müsse, dann wäre alles wieder gut, nicht mehr hinterfragt. Ich war breit! Mein WiBoLT war aus!
Ich war dieser Anforderung heuer einfach nicht gewachsen!
Die Entscheidung war richtig. Fast einen Tag hatte es gedauert, bis ich wieder halbwegs auf dem Damm war!
Nun hatten wir mit Almuth plötzlich Urlaub – Besuch in Koblenz, Besuch des Weinörtchens Winningen, Besuch der Vulkaneifel, Reise nach Bonn – und immer ein Auge auf dem Rennen. Über die App „Racemap“ verfolgten wir immer wieder den Lauf der Freunde, Bekannten, eigentlich aller Läufer. Freuten uns, wie es voran ging, schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und hätten ins Handy schreien können „Nein, nicht da lang!“, wenn man im Live-Tracking sah, wie sich ein Läufer, teilweise recht gewaltig, verlief.
Auch Volker war gut im Rennen! Sein Fuß, den er sich beim Hexenstieg ramponiert hatte, hielt. Hochgerechnet würde er am Samstagabend, vielleicht Sonntagmorgen gegen 1 oder 2 Uhr, das Ziel erreichen. Wir würden auf ihn warten und hatten schon den Sekt im Rucksack, als wir den Marktplatz in Bonn ansteuerten.
Aber irgendetwas stimmte nicht! Plötzlich wurde die Startnummer „4“ im Livestream immer langsamer, kam teilweise kaum vom Fleck. Dann waren auch Karen, Oliver und Stephan, die immer gut eine Stunde hinter ihm unterwegs waren, vorbei! Warum zum Teufel ist er da nicht mitgelaufen, die kennen sich doch gut?!
Ich wurde nervös! Almuth hätte mir wohl am liebsten das Handy weggenommen. „Du hast doch erst vor zehn Minuten geguckt, manchmal hängt der Track, mach dich jetzt nicht verrückt …!“
Nein, da stimmte was nicht! Ich kannten den Abschnitt, in dem Volker sich nun bewegte, noch sehr gut vom KoBoLT, ein knochenhartes langes Stück, das zehrt an den Kräften und vor allem, was viel schlimmer ist, am Hirn! Und eine Rückfrage bei Kerstin, die am letzten VP nun schon viel viel länger wartete, als gedacht, brachte Gewissheit: Volker ist mental am Ende, er will aufgeben!
Ich hätte heulen können vor Verzweiflung, dass mein Freund das ersehnte Ziel so kurz vor dem Ende aufgeben könnte, auch wenn ich ihn nur zu gut verstanden habe: Erschöpfung, Einsamkeit, Verzweiflung nagen an einem …
Die Entscheidung war schnell gefallen: so einfach lassen wir das nicht zu, lieber Volker! Das Ziel wird nicht weggeworfen, solange es nur die geringste Chance gibt, es zu erreichen, wissen wir! Und es ist noch viel Zeit zum Cut off!
Gegen 0:40 Uhr des 18.06.2017 empfingen wir Volker nicht jubelnd auf dem Markplatz, sondern rollten mit Almuth am letzten VP an. Ich war für 25 Laufkilometer und viele Stunden gerüstet, empfing Volker, der wenig später eintraf, mit den Worten „Huhu, ich bin eine Halluzination!“
Schnell war klar, dass er weiterlaufen würde. Esen, Kurzschlaf, 1:30 Uhr waren wir unterwegs.
Als wir nun zum Drachenfels aufstiegen, meinte ich: „Lass dich von mir nicht unter Druck setzen, du bestimmst das Tempo, ich bin einfach nur da, gegen die Einsamkeit, um dich zu unterhalten!“
„Na gut, dann sing mir jetzt was vor!“, meint er und ich musste lächeln. Wenn er diesen Humor noch hat, dann ist alles gut!
Ich habe übrigens nicht gesungen, ich konnte ihm auch nicht einen einzigen Meter abnehmen, jeden verdammt schmerzhaften Schritt nach Bonn musste er selbst machen. Aber wir schwatzten, lachten, erlebten den Sonnenaufgang am Petersberg bei Bonn, frühstückten gemütlich im Wald – und waren trotz aller Langsamkeit schließlich am Rheinufer.
Drei Kilometer vor dem Ziel hat Almuth mich „eingesammelt“, denn das letzte Stück seines Triumpfes sollte Volker allein genießen. Und schließlich wollte ich beim Empfang auf dem Marktplatz dabei sein!
Dazu lest bitte Volkers Bericht, jedenfalls war sein Finish auch für mich ein großartiger und sehr emotionaler Moment! Es ist schön, sich mit seinen Freunden über Erfolge freuen zu können!
Bilder dieses Beitrages stammen auch von Almuth Dictus.
Weitere Bilder zum Lauf und zu unserem "Drumherum" findest du hier: in der Galerie!
Was ist nun mein Fazit zum Abenteuer WiBoLT?
Auch wenn ich der Herausforderung heuer nicht gewachsen war, habe ich ein Ultralauf-Event erlebt, das rundum einfach nur großartig war. Tolle Organisation, tolle Verpflegungspunkte und ein sportlicher Zusammenhalt unter den Teilnehmern und Helfern, wie es ihn nur selten gibt.
Nach dem desaströsen Hexenritt, nach dem ich am liebsten gar nicht mehr gelaufen wäre, „juckt“ es jetzt wieder in den Füßen!
Danke Michael Eßer und Team – und meine Hochachtung für diese organisatorische Leistung - für diese großen Tage, danke all denen, mit denen ich diese Tage erleben durfte – ich bin um große persönliche Erfahrungen reicher geworden!